
Schulden sind umfassende soziale, ökonomische und politische Prozesse, die sich global ebenso wie lokal in Realitäten, Geschichten und Repräsentationen einschreiben. Zwischen Versprechen, Zwang und vermeintlicher Schuld prägen suggestive Aufladungen und unpersönliche Messbarkeit abstrakte Vorstellungen von Schulden, konkret aber formen sie Menschen und ihre Umgebungen. Die Gruppenausstellung führt künstlerische Formen des Close reading (aufmerksames Lesen) von Materialien und Narrativen zusammen, die sich mit diesen Vor- und Darstellungen, mit Formen von Extraktion und Möglichkeiten des Sich-Entziehens auseinandersetzen.
Die Bilder und Verstrickungen, die die Künstler:innen in Unter dem Gewicht atmest du anders. Schuld und Haben aufgreifen, sind Teil eines verschuldeten Daseins, in dem sich die abstrakten Operationen von Schulden in Beziehungen niederschlagen. Sie widmen sich den Spuren menschlichen Agierens, ohne dieses jedoch konkret darzustellen; sie finden sich eingeschrieben in Landschaften, in neuen, queeren Lesarten (historischer) Narrationen ebenso wie in ihren Größenordnungen und Messbarkeiten.
Moyra Davey rückt auf einfache und prägnante Weise das Geld und seine doppelte Prägung durch Macht und Zirkulation in den Blick. Toon Fibbe kommentiert die Vorläufer der immateriellen Finanzmärkte von heute um 1700 herum. Lili Huston-Herterich beschäftigt sich in der Videoarbeit The Treasury mit der Geschichte einer verarmten, ehemals alkoholabhängigen Künstlerin, die für Jahrzehnte ein verlassenes Bankgebäude besetzt, um darin zu leben und zu arbeiten. So verknüpft sie das Verhältnis von Ökonomie und Gesundheit zu einer polyphonen Erzählung von Beziehungen und Erwartungen, von Zugängen und ‚Wachstum‘ sowie einer queeren Lektüre des Gebäudes. Miriam Stoney manipuliert die Zifferblätter von Waagen und spielt mit Ungleichgewichten in unterschiedlichen Kontexten. Santu Mofokengs Fotografie Aus/Luderitz hat einen direkten Bezug zu Bremen und der deutschen Kolonialgeschichte, die sich als unaufhebbare Schuldbeziehung in die namibische Landschaft eingeschrieben haben. Den Entsprechungen dieser Schuldeinschreibungen in deutschen Landschaften geht Natascha Nassir-Shahnian nach, um einen offenen Dialog anzustoßen. Denise Ferreira da Silva und Arjuna Neuman gehen in der chilenischen Atacema-Wüste den Spuren von Geschichte nach, die – so sehr versucht wird, sie zu verschleiern – durch das trockene Klima konserviert wird. Alice Creischer untersucht in ihrer Installation Proudhon, die Gesellschaft des 10. Dezember und der Club der faulen Debitoren die Verhältnisse zwischen intellektuellen, politischen und ökonomischen Kräften anhand eines mehrteiligen Puppenspiels. Das Künstler:innenkollektiv Jochen Schmith verbindet die Privatisierung von Parks mit Logiken von Arbeit und Nicht-Arbeit in abstrakten Kompositionen aus geschredderten Geldscheinen.
Dass die Ausgangslage der gezeigten Arbeiten zumeist unpersönliche, zählbare Werte oder die Vorteile einzelner sind, es aber selten um Werte und Gerechtigkeit geht, ist eine Folge vermeintlich unumgänglicher Schuldprinzipien. Abstrahieren und von diesen Vorgängen unberührt bleiben bedeutet, Erfahrungen in Bezug auf Geschichte, Erinnerung, Identitäten, gebauten und ungebauten Umgebungen zu ignorieren. Die Integration dieser Aspekte bietet im Gegenteil Möglichkeiten, mit unserer verschuldeten Realität umzugehen.
Das Symposium DEBT. Unsettling Matters of Interest und Ausstellung Unter dem Gewicht atmest du anders. Schuld und Haben beeinflussen sich gegenseitig und machen den Austausch mit assoziierten Seminaren sowie lokalen und internationalen Wissenschaftler:innen und Öffentlichkeiten produktiv.
Alice Creischer, Moyra Davey, Denise Ferreira da Silva & Arjuna Neuman, Toon Fibbe, Lili Huston-Herterich, Santu Mofokeng, Natascha Nassir-Shahnian, Jochen Schmith, Miriam Stoney
Veranstaltungen
Fr., 06.06.
19:00 Eröffnung
22:00 Performance Der Waagenrat von Miriam Stoney
So, 22.06., 17:00
Lecture Performance von Natascha Nassir-Shanian
Di, 24.06., 11:00
Schuld/Fragen, Vermittlungsformate von Studierenden der Universität Bremen / Seminar Sarah Lüdemann
Di, 01.07.2025 11:00
Schuld / Fragen
Di, 08.07., 11:00
Schuld/Fragen
Do, 17.07., 19:00
Ein gemeinsames Lesen von Denise Ferreira da Silva – Unbezahlbare Schulden: Szenen des Werts, gegen den Pfeil der Zeit gelesen
Do, 21.08., 19:00
Führung & Brettspieleabend zu Schulden
So, 07.09., 15:00
Führung
Kooperation
Eine Initiative der Universität Bremen und der GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst in Kooperation mit der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und der Hochschule für Künste Bremen, Klasse Temporary Spaces
Förderung
Der Senator für Kulur der Freien Hansestadt Bremen
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Manfred und Ursula Fluß-Stiftung